Aktuell im FocusEllasnetblogs

Brief an einen deutschen Freund

Lieber Fre­und,
in let­zter Zeit wird sicher­lich der eine oder andere Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel
in Deine Hände gelangt sein, der auf die schlechte Lage der griechis­chen Finanzen
Bezug nimmt.
Manche dieser Artikel kön­nten bei Dir den Ein­druck erweckt haben, dass in diesem
Land ein anar­chis­ches, kor­ruptes und ver­dor­benes Ver­flech­tungssys­tem vorherrscht,
welch­es seit Jahren das öffentliche Bud­get auf eine Art ver­wal­tete, die die Interessen
der Men­schen – sowohl die des eige­nen als auch Deines Lan­des – der Willkür der
poli­tis­chen Mach­er über­ließ bzw. deren eigene Tasche füllte.
Dein so gewonnen­er Ein­druck wäre dann völ­lig richtig, und Du tätest gut daran, dich
wegen eines solchen Griechen­lands aufzuregen.
Lei­der sind einige dieser Artikel nur darum bemüht, Dir ein ganzes Volk als
Betrüger zu dif­famieren, das ange­blich zu Las­ten des gesamten Europa lebt und
wirkt, indem es den lieben lan­gen Tag Ouzo trinkt und Suvla­ki isst auf Kosten
Deines Wohlstands.
Diese Mei­n­ung, die Dich ver­wirren und von den wahren Prob­le­men ablenken soll, ist
neben allem anderen in erster Lin­ie durch und durch ras­sis­tisch. Es ist so, als würde
man alle Ital­iener als Mafiosi oder alle Deutschen als Nazis abstem­peln. Diese
Ansicht­en zie­len zudem auch auf die Schaf­fung von Sün­den­böck­en, damit Du nicht
mehr in der Lage bist, die echte Natur der Prob­leme zu durch­schauen – nämlich
diese als Sack­gassen eines Sys­tems zu erken­nen, das in inter­na­tionalen Wettbüros
Pläne schmiedet und beschließt, ob und welch­es Land dem­nächst über­leben darf oder
ster­ben soll. Diese Ansicht­en aber sind genau die, die auch die Arbeit­slosen in
Deutsch­land aus­nahm­s­los als „faule Säcke“ verunglimpfen, die ange­blich nicht
arbeit­en wollen und daher ver­ant­wortlich für die Finanzkrise des Lan­des seien. Es
sind diesel­ben Ansicht­en, die uns zu überzeu­gen ver­suchen, dass die Überfluss‑, die
Quan­titäts- und Geschwindigkeits­ge­sellschaft die einzige Lösung für alle sei, und
das um den Preis der Zer­störung unser­er men­schlichen Seelenverfassung.
Deutsch­er Fre­und, lass uns kraft unser­er huma­nen sozialen Intel­li­genz solchen
Mei­n­un­gen gemein­sam trotzen und beweisen, dass Erken­nt­nis stärk­er ist als
Dummheit, indem wir die Maschiner­ie eines Sys­tems hin­ter­fra­gen, das uns
ger­adewegs in eine all­ge­meine und uns alle tre­f­fende Katas­tro­phe führt, und lass es
uns auf den Kopf stellen, damit wir unseren Kindern wahrhaftig eine hoffnungsvolle
Zukun­ft hin­ter­lassen und keine Trümmer.
„Der­jenige,
der keinen Fre­und oder Ver­traut­en hat,
nur seinem eige­nen Kör­p­er vertraut
und das Geheim­nis in den stache­li­gen Blät­tern der Sonne sucht,
ist der Aus­gestoßene aus der Gesellschaft aller Zeiten.“
Odysseas Elytis, Lit­er­aturnobel­preisträger, Grieche.
Für die Gesellschaft der Griechis­chen AutorIn­nen in Deutschland,
der Vorsitzende:
Michalis Patentalis
www.gga-brd.de

Ein Gedanke zu „Brief an einen deutschen Freund

  • Renate Schmidt-Karakatsanis

    Lieber Michalis,
    danke, danke, danke, danke!
    Meine Wut, Trauer und Verzwei­flung über die Reak­tio­nen bzw. Nichtreak­tio­nen auf die erneute Het­zpro­pa­gan­da deutsch­er Medi­en und ihrer poli­tisch-wirtschaftlichen Hin­ter­män­ner und ‑frauen gegen ein ganzes Volk und dies­mal noch dazu gegen Griechen­land, dass tra­di­tionell in der deutschen Öffentlichkeit sehr beliebt ist, ermöglicht mir nicht so zu schreiben.
    Lei­der ziehen sich die meis­ten deutschen Gesprächspart­ner darauf zurück unpoli­tisch zu sein, sobald man die neu ver­bre­it­eten Vorurteile mit ihnen auf poli­tis­ch­er Ebene ansprechen will und merken nicht, dass ihr vorgegeben­er Rück­zug auf das Pri­vate, näm­lich per­sön­liche neg­a­tive Erleb­nisse die nun plöt­zlich All­ge­me­ingültigkeit beanspruchen, ger­ade hoch poli­tisch sind. Sie scheuen sich nicht, ihre per­sön­lichen “Ver­let­zun­gen” dafür zu nutzen indi­rekt oder direkt der Het­zpro­pa­gan­da Recht zu geben. Erin­nert man sie, dass genau dieses Vorge­hen Goebbels schon nutzte um Juden zu däfamieren und zu mor­den oder ganze Völk­er und Län­der mit Krieg zu überziehen oder in der neueren deutschen Geschichte Medi­en dazu beitru­gen Nach­bar­län­der wie Jugoslaw­ien zu über­fall­en und dabei das deutsche Volk mehrheitlich (und zwar mit über­wälti­gen­der Mehrheit die Argu­mente nicht nur willfähig akzep­tierte son­dern noch mit ange­blich per­sön­lichen Erfahrun­gen unter­mauerte, ver­stärk­te und keine andere Sichtweise mehr zuließ — Total­ität des All­t­ags) fanatisiert dahin­ter stand, wer­den sie zwar nicht poli­tisch, son­dern reagieren unpoli­tisch aufgeregt, dass man sie nun wieder ein­mal als Nazis beze­ich­nen würde.
    Sie ver­ste­hen also sehr wohl um was es geht, drehen aber den Spieß ein­fach um. Deutsche, die im Gespräch ihnen einen Spiegel vorhal­ten sind Nest­beschmutzer und dümm­liche Frem­den­verehrer, die ein fremdes Volk dem eige­nen vorziehen. Griechen, die sich gegen die Ver­leum­dun­gen und die poli­tisch motiverte Het­zpro­pa­gan­da mit Recht aufge­bracht zur Wehr set­zen, sind plöt­zlich die, die sie grund­los als Nazis beschimpfen und auf dessen “Beschimp­fung” man fol­glich nun erstrecht mit der Het­zpro­pa­gan­da get­rost weit­er­ma­chen kann — ich nehme an, Mob­bing ist in Deutsch­land genau­so ver­bre­it­et wie in anderen Län­dern, lässt sich hier aber wohl beson­ders wun­der­bar politisieren.
    Ihr Brief ist deshalb so wohltuend, aber ich fürchte, er erre­icht nur eine kleine Min­der­heit, die sowieso schon den Polit­thriller­trick durch­schaut hat. Den­noch tut es gut so eine humane Sichtweise in der Diskus­sion zu find­en. Wie gesagt ich bin dazu nicht in der Lage!
    Ich schäme mich für das was aus meinem Land kommt und erfahrungs­gemäß noch kom­men wird und hoffe nur darauf, dass andere Län­der — wie zum Beispiel es schon Frankre­ich vorgemacht hat — Deutsch­land Ein­halt gebi­etet. Der deutsche Par­la­mentspräsi­dent hätte sich son­st niemals für die deutschen Medi­en entschuldigt und wie man sieht ist ja die Bildzeitung ganz empört über diese Entschuldigung (und ich möchte nicht wis­sen wie viele Deutsche jew­eils welch­er Seite zustimmen).
    Aus Öster­re­ich, der Schweiz, Ital­ien usw. kom­men bere­its kri­tis­che Stim­men über das Vor­ma­chts­ge­bahren deutsch­er Nach­barn, weil ihnen die Sauber­man­n­men­tal­ität wohl auch schon auf den Geist geht. Aber statt sich zu über­legen wie das eigene Ver­hal­ten über die Gren­zen wirkt (im eige­nen Land lässt man sich ja schließlich nahezu alles gefall­en, Haupt­sache es hil­ft der Wirtschafts­macht Deutsch­lands), wächst die Empörung darüber, dass man immerzu als Nazi däformiert würde und die eigene Geschichte nicht los wird. Wir wer­den sie nicht los! Sie ist Teil unser­er Geschichte und wir sind aufgerufen endlich unser Ver­hal­ten dahinge­hend zu verän­deren damit sie sich nicht wieder­holt, anstatt die Geschichte ander­er Natio­nen in den Dreck zu ziehen oder sie ihnen absprechen zu wollen mit der dreis­ten Schluß­fol­gerung, dass wir doch eigentlich die wahren Erben dieser Geschichte sein müssten.
    Also nochmals vie­len, vie­len Dank, dass Sie trotz soviel Unrechts und Dreckss­chleud­erei in der Lage sind die Hand auszus­treck­en. Sie zeigen damit, dass Sie wirk­lich der wahre Erbe des Hel­lenis­mus sind! Ich gönne Ihnen diese Größe und wün­sche Ihnen, dass Sie damit erre­ichen was Sie offen­sichtlich erre­ichen möcht­en, näm­lich Men­schen auf Ihre Höhe mitzunehmen statt sie von oben herab zu betrachten.
    Ich besitze diese Reife noch nicht. Aber genau deshalb müssen wir das griechis­che Erbe, dem jede und jed­er, egal welch­er Nation­al­ität, teil­haft wer­den kann, verteidigen!
    Hochachtungsvoll und ver­bun­den mit den besten Wünschen
    Ihre Renate Schmidt-Karakatsanis

Kommentare sind geschlossen.